Montag, 28. April 2008

Samstag, 19. April 2008

Freitag, 18. April 2008

Die Macht der Fantasie

Verspielt, versponnen und verdammt lustig: Michel Gondrys Komödie "Abgedreht"

(Foto: Senator) - Wenn Menschen mit einer Zeitmaschine genau eine Sekunde in die Vergangenheit reisen oder ihre Erinnerungen an einzelne Personen per Maschine aus dem Gedächtnis löschen lassen, so ist dies kein Zeichen für beginnende Wahnvorstellungen, sondern viel eher das Werk eines einzigen Regisseurs: Michel Gondry. Der Franzose, seines Zeichens Visionist, Träumer und Illusionist, schafft es in seinen Filmen stets aufs Neue, das Publikum mit dem Absurden zu konfrontieren, dem Unglaublichen und dem unmöglich Erscheinenden. Er vermischt Realität mit Traumwelt, lässt seine Protagonisten dort ihre Wünsche und Hoffnungen ausleben und bleibt mit seinen Aussagen trotzdem auf dem Boden der Tatsachen. Fantasie zum Lernen, Handeln zum Leben - so könnte das Credo seiner beiden letzten großen Kinofiolme, "Vergiss mein nicht" und "The Science of Sleep", lauten. Am Ende muss immer etwas neu erschaffen, neu aufgebaut werden, sonst wäre die ganze Träumerei als nötiger Weg zum Ziel umsonst gewesen.

Umsonst hingegen ist nicht Gondrys Versuch ausgefallen, die witzigen und skurrilen Szenen dieser Filme als Vorbild für eine 101-minütige Komödie zu nehmen und diese mit ein paar ironischen Seitenhieben in Richtung Filmindustrie zu würzen. "Abgedreht" heißt sein neuer Streifen, Hauptort der Handlung: Eine Videothek. In dieser arbeiten der alternde Jazzfan Elroy (Danny Glover, "Saw") und der leicht naive Mike (Mos Def, "Per Anhalter durch die Galaxis"), der seinen Kunden kaum einen Wunsch abschlägt. Besucht werden beide jeden Tag vom durchgedrehten Filmnerd Jerry (Jack Black, "King Kong"), der ein Faible für ausgefallene Kostümierungen hat und gerne mal Kleinwägen in Batmobile umfunktioniert. Als Mike den Laden für eine Weile übernimmt, löscht Jerry unbeabsichtigt alle Bänder der Videothek - und stellt die beiden vor ein großes Problem: Die Videos waren das einzige, was es in der Videothek auszuleihen gab - DVD's Fehlanzeige. Doch da ihre Stammkunden auch weiterhin nicht auf die Filme verzichten wollen, greifen die Einfaltspinsel kurzerhand selbst zur Kamera. Ob "Ghostbusters", "Robocop" oder "Miss Daisy und ihr Chauffeur": Mike und Jerry drehen die Klassiker der Filmgeschichte einfach nach - mit Witz, Einfallsreichtum und zunächst auch mit Riesenerfolg. Bis die allmächtige Verleihindustrie von der Sache Wind bekommt...

"Abgedreht" - bei diesem Titel ist der Name fast schon Programm. Abgedreht sind die kleinen, 20-minütigen Zusammenschnitte der beiden Hauptakteure in der Tat, abgedreht sind die Improvisationskünstler aber auch selbst. Da wird die Tiefkühlpizza zur triefende Blutlache, die Kinderspielmatte zum klaffenden Abgrund und die ausgeschnittene Pappplatte zum "König der Löwen". Kein Wunder also, dass sich bei solch großem Einfallsreichtum schnell Schlangen an Begeisterten vor der Videothek bilden. Die Fans sind entzückt, und der Zuschauer ist es auch. Denkt so manch einer doch gerne an jene Zeiten zurück, in denen er selbst auf Motivjagd ging - nur mit Amateurkamera und einer ordentlichen Portion Erfindungsgabe ausgestattet. Doch bei allem Slapstick ist "Abgedreht" aber auch eins: Eine Lobhymne an das Alte, das Vergangene, das Unvergessliche. So wie etwa an das heruntergekommene Haus, in dem sich die Videothek befindet und das den Stadtplanern schon lange ein Dorn im Auge ist. Oder aber an den großartigen Jazz-Pianisten Fats Waller, dem Gondry gewissermaßen ein filmisches Denkmal setzt. Zuletzt natürlich ist der Film auch eine Ode an das Video an sich, das seine besten Zeiten schon lange hinter sich gelassen hat und heutzutage wohl nur noch für Sammler interessant sein dürfte, die gerne in riesigen Wühlkisten suchen.

Was die leise Kritik an Hollywood betrifft, so fährt der französische Regisseur zweigleisig. Einerseits sind es ja die Produktionen der Traumfabrik selbst, die zunächst als Objekt der Begierde dienen und die durch die Kunden der Videothek eine hohe Nachfrage erfahren. Sie sind es, die so gut sind, dass es sich lohnt, ihre besten Szenen nachzudrehen. Sequenz für Sequenz. Das Problem ist nur: Die mit der Handkamera gedrehten Eigenproduktionen übertreffen mit ihrer Unkonventionalität die Originale und bringen frischen Wind in schon längst abgedroschene Szenenabfolgen. Somit sind sie es, die auf ihre Weise kreativer, innovativer und witziger sind als jeder Blockbuster. Kein Wunder also, dass sie eine Gefahr für die Filmverleihindustrie darstellen und deswegen rigoros bekämpft werden müssen. Phantasie ist erlaubt, doch sobald die Einnahmen bedroht sind, hört der Spaß auf. Alles getreu dem Motto: Remake ok, Fake: oh weh! Doch was ein echter Filmemacher ist, den schreckt das nicht ab. Selbst, wenn er schließlich auf alte Klassiker zurückgreifen muss...

8 von 10 Videokassetten

Samstag, 22. März 2008

Piano

30 Jahre Einsamkeit

"There Will Be Blood" - Daniel Day-Lewis als rücksichtsloser Öl-Magnat, der im Kalifornien der Jahrhundertwende zu Macht und Reichtum kommt

(Foto: Walt Disney) - Die Luft brennt. Flammen steigen vom Boden auf und der Himmel färbt sich schwarz. Aufgeregte Stimmen ertönen, und doch scheinen sie weit weg von der Szenerie zu sein. Hastig werden Halterungsseile gelöst, ein Bohrturm fällt. Doch das Feuer brennt weiter, beständig, und nährt sich von jener riesigen Ölfontäne, die bei ihrem Ausbruch einige Minuten zuvor Decken und Wände der umliegenden Hütten erzittern ließ. Die Kamera löst sich jetzt von der Szenerie, fast widerwillig, und schwenkt auf einen einzelnen schnurbärtigen Mann, der gebannt in Richtung der Förderanlage starrt. Sein Gesichtsausdruck ist starr und aufgeregt zugleich, verärgert und doch erfüllt von einem freudigen Hauch der Vorahnung. Mit dem Zoom verschwimmen dann seine Konturen, bis sie schließlich kaum mehr zu erkennen sind und das Gesicht eintaucht in eine Welt voll öliger Dunkelheit.

Diese Szene ist bezeichnend für den Gesamtfilm, orientiert sie sich doch an seinen Hauptfarben, rot und schwarz, und zeigt sie sowohl den Reiz als auch die Gefahren, die das schwarze Gold mit sich bringen. Verlockung und Verhängnis, Vermögen und Verlust - Paul Thomas Andersons ("Magnolia", "Boogie Nights") lose Verfilmung des Upton-Sinclair-Romans "Oil!" illustriert bildreich drei Jahrzehnte im Leben des gewissenlosen Geschäftsmanns Daniel Plainview (kongenial: Daniel Day-Lewis). Dieser stößt Ende des 19. Jahrhunderts bei der Suche nach Silber auf ein kleines Ölvorkommen, wirft schon bald darauf Pickel und Hammer fort und beginnt mit ersten Bohrungen. Einen Hinweis des jungen Paul Sunday folgend, zieht es ihn zusammen mit seinem Sohn H.W. in den Westen Kaliforniens, wo er auf dem Gelände einer Ziegenfarm fündig wird. Kurzerhand kauft er die Farm und sämtliche Gebiete in der näheren Umgebung des kleinen Ortes Little Rock auf, lässt Arbeiter und Material kommen und errichtet Bohr- und Förderanlagen.

Der erwartete Reichtum stellt sich ein, doch gleichzeitig bekommt es Plainview mit einem Gegner zu tun, den er lange Zeit unterschätzt hatte: Eli Sunday (Paul Dano aus "Little Miss Sunshine") ist ein orthodoxer Baptistenprediger, der in seinem religiösen Fanatismus dem Öl-Magnaten in nichts nachtsteht und geschickt Kontrolle über die hiesige Dorfgemeinschaft ausübt. Als Plainview sich weigert, seine Ölquelle segnen zu lassen und er seinerseits Eli für jeden Unfall an der Baustelle verantwortlich macht, markiert das den Beginn einer tiefen Feindschaft. Jeder Erfolg des anderen wird kritisch beäugt, jeder Fehler mit blinder Wut ausgenutzt. Doch während Eli seine Bestimmung im heuchlerischen Seelenfang für die Kirche der dritten Offenbarung gefunden hat, beginnt Plainview damit, in jeder Person einen potentiellen Widersacher zu sehen. Bis schließlich 30 Jahre Ruhm, Machthunger und Einsamkeit vorbei sein werden, wird noch viel Blut fließen müssen...

Es mag enttäuschen, dass außer Daniel Day-Lewis und dem erneut starken Paul Dano alle anderen Charaktere in "There Will Be Blood" blass und eindimensional wirken. Wirklich überraschend ist es aber nicht angesichts einer Oscar-prämierten One-Man-Show, die ihren Reiz gerade aus der starren Personenfixierung und dem Nicht-Erklären gewinnt. Ob diabolisches Monster, eiskalter Geschäftsmann oder emotionsloser Gefühlskrüppel - dem Zuschauer ist es selbst überlassen, wie er über Daniel Plainview urteilt. Alle Deutungen erscheinen richtig und zugleich nur halb zutreffend. Gerade durch das Weglassen jeglicher Motive und Beweggründe erscheint der Charakter so rätselhaft-bestialisch und undurchschaubar, wie er ist.

Paul Thomas Anderson erschafft mit seinem insgesamt 158 Minuten langen Film einen düsteren Ölthriller, der gleichzeitig als beklemmendes Vater-Sohn-Drama daherkommt und dem eine Straffung um die ein oder andere Minute sicherlich nicht geschadet hätte. Doch trotz manch sperriger Szenen und des atmosphärischen, aber bisweilen enervierend-langatmigen Soundtracks des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood ist "There Will Be Blood" ein gelungenes Portrait über Familie, Machtgier und Fortschrittswahn. Ein Portrait, das die unterschiedlichen Facetten der Ölindustrie aufzeigt: Macht und Reichtum, Tod und Verderben. Nicht zuletzt unter diesem Aspekt ein hochaktuelles Thema also.

7.5 von 10 Fördertürmen

Sonntag, 16. März 2008

Heidelberg - Impressionen

In der Tiefe des Staubkorns

"Horton hört ein Hu" - Effektvoller Animationsfilm mit zahlreichen Schwächen

(Foto: 20th Century Fox) - Dass perfekte Tricktechnik noch lange keine gute Story ersetzt, zeigt sich am neuesten Animationsfilm der Macher von Ice Age. "Horton hört ein Hu" erzählt die Geschichte des leicht trotteligen, aber naiv-symphatischen Elefanten Horton (gesprochen von Christoph Maria Herbst, "Stromberg"), der im Dschungel von Nümpels lebt und sich seines Lebens erfreut. Als eines Tages ein Staubkorn dicht an seinem Ohr vorbei fliegt, vermeint der Dickhäuter, einen leisen Hilfeschrei zu hören und geht der Sache auf den Grund. Es zeigt sich, dass der Ruf tatsächlich nicht der überbordenden Fantasie Hortons entstammt, sondern der Kehle eines winzig kleinen Wesens, eines Hus.

Dieses ist seines Zeichens Bürgermeister von Hu-Heim, hat 97 Kinder und zeichnet sich durch ein nicht unerhebliches Maß an Schusseligkeit aus. Die Bewohner von Hu-Heim indes wissen nicht, dass sie sich in Wirklichkeit mitten auf einem Staubkorn befinden und planen munter und fröhlich ihre Jubiläumsfeier. Doch von außerhalb droht Unheil: Das stets schlechtgelaunte Känguru des Dschungels (gesprochen von Anke Engelke) erfährt von Hortons scheinbaren Selbstgesprächen und fürchtet seinen schlechten Einfluss auf die Kinder von Nümpels. Getreu dem Motto "Was man nicht sehen oder fühlen kann, das existiert nicht" will es ihn überreden, sich von seinem Staubkorn zu trennen.

Doch Horton lässt sich nicht beirren und beginnt eine Reise hin zur weit entfernten Berghöhle, dem einzige Ort, der für die orientierungslos in der Luft herumwirbelnde Welt der Hus Geborgenheit und Sicherheit bedeutet. Das Känguru hetzt derweil sämtliche Urwaldtiere gegen den Elefanten auf und beautragt sogar einen Geier damit, ihm das Staubkorn zu entreißen. Während im Dschungel so eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, muss der Bürgermeister von Hu-Heim seine Bewohner von der Existenz einer größeren Welt überzeugen und gleichzeitig seinem einzigen Sohn das Bürgermeisteramt schmackhaft machen. Keine leichte Aufgabe...

Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Dr. Seuss ("Horton hears a Who") funktioniert, und das ist die gute Nachricht, in der ersten Hälfte erstaunlich gut, wenn Urwald und Hu-Heim mitsamt ihren quirligen, zunächst seltsam anmutenden Geschöpfen vorgestellt werden. Da ist zum Beispiel der kleine gelbe Fellknuff, der von einer Welt überzeugt ist, in der nur Ponys leben, die Regenbögen fressen und Schmetterlinge pupsen. Oder aber der schweigsame Sohn des Bürgermeisters, der so gar nicht am Beruf seines Vaters interessiert ist, sondern lieber jeden Tag sein gut behütetes Geheimnis oberhalb der Stadt besucht. Zu Beginn zünden auch noch die meisten Gags wie etwa jene Sequenz, in der Horton sich im besten Anime- bzw. Pokémon-Stil seiner Feinde erwehrt.

Doch spätestens ab der Mitte des Films, wenn ein jeder Zuschauer die"Stehe-zu-deiner- Fantasie"-Botschaft verstanden hat, beginnt der Film, sich zu wiederholen. Hus und Dschungeltiere fallen in regelmäßigen Abständen auf die Nase, der gutmütige Elefant ist gar zu gutmütig, die Bösen sind am Ende nicht wirklich böse und der Zuschauer schaltet gedanklich ab. Sicher, "Horton hört ein Hu" ist beste Unterhaltung für die Kleinen und bietet rasante Kamerafahrten und lieb-harmlose Kleinstgeschöpfe en masse. Doch an anarchische Faultiere oder nussabhängige Eichhörnchen kommen die Charaktere eben leider nicht heran. Und öffnen sich somit auch nicht dem erwachsenen Animationsfilmfan, der zwar viele Hus, aber wenig Ahs erlebt. Dann doch lieber die Eiszeit.

5 von 10 Bananen